Die Lage in Fukushima: Alles im Griff

– zumindest rechtlich…

Um weiterhin Arbeiten auf dem Gelände des AKW zu ermöglichen, wurde die zulässige Strahlenbelastung für die Belegschaft deutlich erhöht: Die Erhöhung des Grenzwerts von 100 auf 250 Millisievert pro Jahr sei, unter den Umständen unvermeidbar’, teilte das Ministerium für Arbeitsgesundheit mit.“ (tagesschau.de, 16.03.)

Den Schein, bei der staatlichen Festlegung von Grenzwerten würde sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert, ab wann es für die Menschen schädlich wird – bei Radioaktivität gibt’s eh keine ungefährliche Dosis – , lässt das Ministerium hier gar nicht erst aufkommen. Ab sofort gehen 250 Millisievert rechtlich in Ordnung – eingestandenermaßen ein Schaden für die Leute, aber unter den notstandsähnlichen Umständen des GAU „unvermeidbar“. Die jetzigen Umstände mögen außergewöhnlich sein, geregelt werden sie, wie alle anderen Schadstoffemissionen auch. Der Staat nimmt seine „Verantwortung für Land und Leute“ wahr, indem er definiert, was er, im Hinblick auf welche Umstände, an Konzentration bzw. Aufnahme von giftigen oder gefährlichen Substanzen zulässt. Dieses zulässige Ausmaß an Schadstoffexposition geht immer auch das ein, was er von seinem Land samt dessen Insassen will.

Das ist schon im Alltag einer kapitalistischen Industrienation wie Japan zynisch genug. Wo es darum geht, die Position in der weltweiten Konkurrenz der führenden Standorte kapitalistischer Produktion auszubauen, da fällt schon im Normalfall eine Menge Gift, Strahlung etc. an. Staatliche Grenzwerte tragen einerseits dem Rechnung, dass das im Sinne der Profitkalkulation der heimischen Industrie sein muss; andererseits sollen sie dafür sorgen, dass Land und Leute nicht so weit zerstört werden, dass sie als dafür brauchbare Grundlage für Staat und Wirtschaft irgendwann nicht mehr taugen. Das darf aber wieder auf keinen Fall die momentane Konkurrenzfähigkeit der nationalen Industrie beeinträchtigen. Unter diesen Gesichtspunkten legt der Staat fest, bis zu welchem Grenzwert das Freisetzen gesundheitsschädlicher Stoffe legal ist und deshalb keine Schädigung darstellt. Was darüber hinausgeht, ist damit nicht automatisch unterbunden, sondern findet dann eben rechtswidrig statt.

Jetzt herrscht in Japan quasi nationaler Notstand – und der wird streng rechtsstaatlich abgewickelt. Wenn der japanische Staat schon den GAU nicht im Griff hat, dann vermag er doch wenigstens, seinen Versuchen, ihn einzugrenzen die rechtlich passende Form zu geben. So haben die armen Schweine, die in Fukushima den Job der „Liquidatoren“ machen dürfen, wenigstens den Trost, dass sie ab sofort keine Opfer unrechtmäßiger Verstrahlung sind.

…und ideologisch-moralisch:

Was die sachliche Seite des Umgangs mit dem GAU betrifft, so hat Herr Höglund, ehemaliger AKW-Chefkonstrukteur bei Vattenfall, in der der Sendung „Hart, aber fair“ (16.03.) Klartext geredet:

„Die Fünfzig, die jetzt in Japan (im AKW Fukushima) arbeiten, sind im Prinzip dem Tod geweiht.(…) Um die Sache unter Kontrolle zu bringen – einigermaßen – , muss man im Prinzip so vorgehen wie damals in Tschernobyl. Man muss Hunderttausende von Leuten dahin schaffen. Und die Sowjetunion war damals – in Anführungszeichen – zum Glück eine Diktatur. Die haben Leute von der ganzen Sowjetunion dahingeschafft, Hunderttausende, und sie haben die Problematik – in einem Reaktor – nach und nach in den Griff bekommen und den Sarkophag bauen können. … Mit fünfzig Mann kann man das Problem in Japan unmöglich lösen, sondern die müssen auf irgendeine Art die gleichen Ressourcen auch dahin bringen. Wahrscheinlich ist die einzige Lösung – ich denke nicht das die Leute da freiwillig hingehen – irgend eine Art von Ausnahmezustand auszurufen.“

Wir halten es – im Unterschied übrigens zu Herrn Höglund, der das nur ganz neutral als das Kleingedruckte der Atomenergie vermerkt haben wollte, – für einen schweren Einwand gegen jedes politökonomische System, dass es seinen Insassen die Schweinerei einer Technologie zumutet, bei der ein Unfall gleich solch brutale Konsequenzen hat!

Letzteres sieht man in unseren Medien auch so – jedenfalls, wenn man auf Tschernobyl und die damalige Sowjetunion blickt. Schonungslos entdeckt und geißelt man da die Unmenschlichkeit eines längst untergegangenen Systems. Die Älteren werden sich noch erinnern, und den Jüngeren wird es zum passenderweise gerade stattgefundenen 25. Jahrestag frisch aufbereitet: Dort hat man den Leuten einen „Schrottreaktor“ vor die Nase gesetzt und/oder unfähige Ingenieure drin herumfuhrwerken lassen; und als der in die Luft ging, hat man zuerst die Wahrheit über die Katastrophe verheimlicht und dann einen Haufen Leute beim Bau des Sarkophags verheizt. Der ganze menschenverachtende Charakter des sozialistischen Systems zeigt sich da für hiesige Kommentatoren, und er gipfelte darin, dass es die Liquidatoren, die es zu Opfern gemacht hatte, als „Helden“ feiern ließ.

Jetzt, in Japan, in unserem freiheitlichem System, ist das natürlich alles ganz anders: Zwar brennen auch da, im „höchstentwickelten Industrieland der Erde“, AKWs durch, und die Öffentlichkeit erfährt nur scheibchenweise vom Ausmaß der Katastrophe; auch da werden Leute, Freiwillige wie Feuerwehrleute und Soldaten, zur Eindämmung eines noch größeren Schadens fürs ganze Land verheizt. Aber zumindest ein entscheidender Unterschied bleibt: In Fukushima sind, jedenfalls nach einhelliger Auffassung unserer Presse, die armen Schweine, die als Liquidatoren geopfert werden, keine Opfer, schon gar nicht die eines wirtschaftlichen oder politischen Systems. Sie sind wirkliche „Helden“, die sich für die Allgemeinheit opfern, und dafür unsere ungeteilte Bewunderung und Verehrung verdienen, wie überhaupt das ganze japanische Volk für seine unglaubliche Disziplin und Gelassenheit. Oder wie es Klaus von Dohnanyi, ehemaliger Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, in der gleichen Sendung formulierte: „Mut kann man nicht regeln! Das was in Japan geschieht, ist ein Aufopfern von wenigen für eine große Stadt in der Nachbarschaft, für ein Land; etwas, das wir weitgehend vergessen haben, was aber nach meiner Meinung ein Land nie vergessen darf!“

Für das, was eine demokratisch-marktwirtschaftliche Nation ihrem Volk so zumutet, sind eben ab und zu auch mal im Frieden soldatische Tugenden erforderlich.

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