Fragen zur „CIA-Affäre“:

Darf die CIA foltern, und wann, wie und wo soll Europa mitmachen?

Das offizielle Europa ist mal wieder empört – über die USA, die ihre geheimen Gefangenen mit geheimen CIA-Flügen quer durch Europa transportieren, sie dort irgendwo in Geheimgefängnisse stecken und dann womöglich noch foltern.

Schon über Guantánamo hatten europäische Politiker und Meinungsführer die Stirn gerunzelt und angesichts der Vorkommnisse in Abu Ghraib hatten sie ernsthafte Zweifel an der moralischen Führungsrolle der USA vorgebracht – ihnen diese Führungsrolle absprechen wollten sie nicht, aber den mahnenden Hinweis auf die verpflichtenden „gemeinsamen Werte“ brauchte es schon dringend. Und jetzt das: Entführung und Verfrachtung von Bürgern jeglicher Provenienz aus Europa an Orte in aller Welt, und das alles ohne sauberen europäischen Haftbefehl, am Ende sogar Folter „bei uns“ zu Hause in Europa? Das geht Europäern, die Amerikas Freunde auf gleicher – imperialistischer – Augenhöhe sein wollen, entschieden zu weit! So leitet der Europarat, der vor gut 50 Jahren eine eigene, europäische Konvention für Menschenrechte und gegen Folter erfunden hat, sogar eine hochoffizielle Untersuchung gegen die USA und ihre Geheimdienste ein, ob da im US-Antiterrorkrieg auf europäischem Boden auch wirklich alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Die EU-Kommission sieht in den Geheimflügen und Geheimgefängnissen eine Verletzung europäischen Rechts, so dass der Rechtskommissar Frattini allen EU-Staaten, die CIA-Gefängnisse und Ähnliches unterhalten, den Entzug ihrer Stimmrechte in den EU-Gremien androht. Diese Empörung ist reichlich verlogen.

An der Sache, über die sich die europäische Öffentlichkeit als mögliche Verstöße gegen Menschenrechte und Folterkonvention empört, sind die europäischen Staaten – so viel weiß auch noch der letzte Journalist – ausgiebig beteiligt:

· Die USA führen auch auf Geheimdienstebene einen weltweiten präventiven Krieg, in dem sie den islamistischen „Sumpf“ des antiamerikanischen Terrorismus trockenlegen wollen. Sie machen mit allen Mitteln Ernst mit dem Anliegen, antiamerikanische Gewalttaten von vornherein zu verhindern. Dafür nützen sie ihre Weltmachtrolle und machen die Welt zum amerikanischen Fahndungsgebiet.

· Dafür setzen sie sich laufend über ihr eigenes US-Strafrecht und über internationales Recht hinweg und dafür organisieren sie eine globale Kooperation mit allen möglichen Staaten. Da die Beschränkungen, die sich der Rechtsstaat USA bei sich selbst in einem formvollendeten Strafprozess auferlegt, für die islamistischen Kämpfer nicht gelten sollen, bedient sich Amerika anderer Staaten: Auswärts genehmigt es sich alle Freiheiten inklusive Folter, und es schreibt diese Dienstleistungen für den Antiterrorkrieg international aus. So können amerikafreundliche Staaten, die früher einmal als „kommunistische Unrechtsstaaten“ galten, ihre handwerklichen Kenntnisse nun pro-amerikanisch zur Anwendung bringen, und sogar sonst als „Schurkenstaaten“ beschimpfte Länder wie Syrien bekommen die Gelegenheit, sich eine punktuelle oder auch vertiefte Zusammenarbeit mit der amerikanischen Regierung zu verdienen, die sich auf diese Weise ihrerseits Ärger mit der eigenen Justiz erspart.

· Allerdings verläuft diese Art der Zusammenarbeit für die führenden europäischen Staaten auf dem Kontinent nicht immer so recht zufriedenstellend, denn Amerika lässt sie ihre Zweitrangigkeit dabei immer wieder spüren. Sie wissen allerdings, was sie an ihrer Beteiligung an diesem Geheimkrieg jenseits aller Differenzen in den großen Kriegsfragen wie Irak haben:

Erstens sind die europäischen Staaten so trotz ihrer Zweitrangigkeit an der US-Weltordnung beteiligt, und zweitens haben sie den islamistischen „Terrorismus“ selber zu ihrem Feind erklärt. Europäische Innenminister haben Antiterrorgesetzespakete geschnürt, die sich in Sachen „Anpassung“ der bürgerlichen Rechte vor dem US-Patriot-Act nicht verstecken müssen. Und europäische Dienste arbeiten mit der CIA usw. zusammen, sind dankbar für einschlägige „Erkenntnisse“ der US-Geheimdienste und aus eigenem Interesse darum bemüht, ihrerseits die US-Stellen mit selbstgewonnenen „Erkenntnissen“ zu versorgen. Die Warnung amerikanischer Offizieller, man solle es mit der Kritik nicht zu weit treiben, da sonst – mit unliebsamen Folgen für Europa – Informationen über „terroristische Bewegungen“ zurückgehalten werden könnten, war ja ein deutlicher Hinweis. Wie diese Zusammenarbeit verläuft, bleibt selbstverständlich geheim, aus fahndungstechnischen, aber auch aus politischen Gründen – denn an die große Glocke soll das nicht gehängt werden, wenn gewisse europäische Regierungen ihre Kritik an Amerika und ihre Konkurrenz gegen es in Sachen Weltordnung weiterhin glaubwürdig aufrecht erhalten wollen.

So entzündet sich der regierungsamtliche Ärger nicht an den Opfern von Entführung, Folter usw., vielmehr drückt sich darin die Unzufriedenheit von berechnenden, aber eben auch beleidigten Mitmachern aus, die halt mal wieder feststellen müssen, dass sie von der Führungsmacht bestenfalls im Nachhinein „konsultiert“, d. h., in ihren Augen nicht genügend respektiert werden. Aber wie schon früher hüten sich die regierungsamtlichen Stimmen – im Unterschied zu denen der Öffentlichkeit – mit gutem Grund, von „Menschenrechtsverletzungen“ zu sprechen, von denen auf ein „menschenverachtendes System“ zu schließen sei. Stattdessen wurde – wieder mahnend – die gemeinsame Grundlage betont, dass man doch an Rechtsstaat und Menschenrechten festhalten wolle.

Mit dem Fall el-Masri erblickt ein Stück dieses Geheimdienstkrieges das Licht der Öffentlichkeit. Für die deutsche Regierung ist das eine ärgerliche Panne, für die Öffentlichkeit hingegen ein Skandal: Ÿ Erstens empfindet die deutsche Öffentlichkeit die ruchbar gewordene Duldung oder gar Kollaboration deutscher Behörden mit der CIA als Widerspruch zur offiziellen deutschen Politik. Denn sie ist ja Anhängerin der Lüge und propagiert sie, Deutschland sei im Dienste der internationalen Moral, also höherer Werte wie Menschenrechten und Schutz vor Folter unterwegs. Da die Enthüllungen diese Heuchelei nun aufdecken, ist die Öffentlichkeit beunruhigt über einen Verlust an Glaubwürdigkeit in der Auseinandersetzung mit den USA.

Besonders schlimm ist für sie aber zweitens: Da wurde ein Deutscher, ein unschuldiger dazu, von der CIA verschleppt und gefoltert. Für die Fanatiker der deutschen Souveränität ist das wirklich Bedauerliche an dem Folteropfer el-Masri keineswegs, dass der Mann ein halbes Jahr eingesperrt und gefoltert wurde. Für sie ist das Schlimme daran, dass damit die Schwäche deutscher Macht im Umgang mit den USA entblößt wird. Daher werfen sie der rot-grünen Vorgängerregierung vor, dass sie einen respektvollen Umgang der USA mit deutschen Bürgern, also mit deutschen Rechten noch nicht einmal eingefordert hat. Das sorgt für Empörung – und el-Masri ist dafür nur der Aufhänger.

Der Vorwurf an die abgetretene Bundesregierung, sie habe sich von der Führungsmacht die Missachtung deutscher Hoheitsrechte gefallen lassen, kommt der neuen Regierung ungelegen. Sie will sich nicht nachsagen lassen, die stillschweigende Hinnahme der amerikanischen Geheimdienstpraktiken durch Rot-Grün fortzusetzen, gleichzeitig ist ihr aber daran gelegen, die Beziehungen zu den USA zu verbessern. Während die Öffentlichkeit sich einfühlsam mit der Frage beschäftigt, ob die schäbigen Umgangsweisen der US-Behörden mit deutschen Bürgern nicht den Regierungsantritt der neuen Kanzlerin erschweren und ob ihr der „Spagat“ zwischen Kritik an den USA und Annäherung gelingt, versucht die deutsche Politik die Panne zu beheben: Das versucht sie, indem sie die Kumpanei mit den US-Behörden abstreitet.

Da ist sie bei Amerika aber an den Falschen geraten: Die USA offenbaren die gelaufene Zusammenarbeit, indem sie betonen, dass ihr Botschafter Coats dem damaligen Innenminister Schily den Vorgang mitgeteilt hat. So blamiert, will die neue Kanzlerin wenigstens das Eingeständnis der Führungsmacht haben, einen Fehler gemacht zu haben. Aber selbst diese eher formelle Respektsbezeugung vor Deutschland verweigert Außenministerin Rice und sie stellt stattdessen zweierlei klar:

– Was die Maßnahmen im Antiterror-Krieg angehen, verlangt Amerika umstandslose Gefolgschaft bei den Mitmachern. Wenn die sich selbst mit dem Status als untergeordnete Mitmacher nicht gut bedient sehen, so wie Deutschland eben, dann haben die erst recht antiamerikanische Kritik einzustellen und Vorwürfe in Richtung „Verstoß gegen die Menschenrechte“ aus dem Verkehr zu ziehen.

– Und wenn sie sich auf gemeinsame Werte berufen, dann haben sie auch anzuerkennen, dass Amerika der berufene Hüter dieser Werte ist, also quasi berufsmäßig gegen diese Werte gar nicht verstoßen kann, auch dann, wenn es zum Schutz dieser Werte Praktiken für notwendig hält, die es früher seinen Feinden als untrügliche Merkmale eines „menschenverachtenden Regimes“ angelastet hat.

Als Hüter der Menschenrechte nehmen sich die USA das Recht, deren Gültigkeit und Reichweite in ihrem Krieg zu deren Schutz und Durchsetzung zu definieren: Wo sie „formal“ gegen bisher eingehaltene Regeln verstoßen, bringen sie diese Rechte nur auf den Stand, der im Antiterrorkrieg geboten sei. Einziges Zugeständnis ist die billige diplomatische Geste, „ab jetzt weltweit“ die Antifolterkonvention einhalten zu wollen, was zugleich niemand als Eingeständnis auffassen soll, US-Organe hätten in der Vergangenheit im Auftrag und mit Wissen der Regierung systematisch gegen sie verstoßen.

Damit ist die Debatte in Deutschland natürlich nicht beendet. Vorwärtsweisendes kommt vom neuen Innenminister Schäuble, der das Verbot in Frage stellt, „Informationen“, die unter Folter zustande gekommen sind, zu verwerten. Zudem „solle man sich bei der Informationsgewinnung im Zweifel für die Zusammenarbeit auch mit anderen Geheimdiensten einsetzen“. (SZ 19.12.2005)

Mit solchen Vorstößen verringert der Bundesinnenminister die Kluft zwischen offizieller Heuchelei und Realität der „Terrorismusbekämpfung“ ein Stück weit und stellt klar: Menschenrechte sind von den Demokratien nicht zum Schutz ihrer Gegner vor ihrer Staatsgewalt erfunden worden.

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