Skandalmeldungen aus der Welt der Bauern:


Antworten aus der Gegenwart auf die Frage
nach der „Landwirtschaft der Zukunft“

Kaum hat die Hochsaison in der Landwirtschaft begonnen, erregen einige Meldungen aus dem Agrarbereich die Gemüter: Rückstände des am weitesten verbreiteten und flächendeckend eingesetzten Herbizids Glyphosat werden in zahllosen Lebensmitteln nachgewiesen und bis in den Urin der Konsumenten nachverfolgt. Als ausgerechnet zum 500-jährigen Jubiläum des Reinheitsgebots auch noch herauskommt, dass das deutsche Nationalgetränk ebenfalls verunreinigt ist, ist Schluss mit lustig: „Ein Pestizid gehört da nicht rein, wir wollen kein Glyphosat im Bier.“ (Kommentar Spiegel Online, 26.2.16) „Glyphosat ist längst zum Symbol geworden für den Grundsatzstreit über die Zukunft der Landwirtschaft.“ (Zeit Online, 8.3.) Und diverse Kommentatoren fragen sich: „Wollen wir eine Landwirtschaft, die nur unter massivem Spritzmitteleinsatz existieren kann?“ (SZ Forum, 14.6.). Mitleid erregt zeitgleich das reichlich bebilderte Schicksal der Milchbauern, denen trotz ihres aufopferungsvollen Einsatzes für Hof und Vieh angesichts der aktuellen ‚Dumpingpreise‘ für Milch kein Überleben mehr gelingen will. Und auch das nur eintägige Schicksal männlicher Küken lässt die Öffentlichkeit nicht kalt, als ein Gerichtsurteil deren millionenfachen Gas- oder Schredder-Tod wegen mangelnder Rentabilität kurzzeitig auf die Titelseiten bringt. Diese Praxis der Brütereien erhält zwar gerade ihre höchstrichterliche Genehmigung, aber inwiefern dieses „System, das ethisch krank ist“ (SZ, 20.5.), für die Gesellschaft weiterhin tragbar bleibt, ist eine andere Frage. So münden die disparaten Negativschlagzeilen aus der Landwirtschaft allesamt in die gleiche Frage:

„Es ist an der Zeit, darüber zu diskutieren, wie die Landwirtschaft der Zukunft aussehen soll.“ (tagesspiegel.de, 18.5.)

Zunächst kann man den Agrar-Aufregern des Frühsommers allerdings einiges darüber entnehmen, wie die Landwirtschaft der Gegenwart aussieht.

Glyphosat

Im Zuge der Skandalmeldungen, in wie vielen Lebensmitteln Rückstände von Glyphosat nachweisbar sind, erfährt man, wie flächendeckend das Herbizid in der Landwirtschaft zum Einsatz kommt: Vierzig Prozent der deutschen Ackerfläche werden damit als Vorauflaufherbizid kurz nach der Saat besprüht; bei großen Teilen des Obst- und Weinanbaus hält es bodennah die Unkräuter fern und Millionen Hektar Anbaufläche weltweit (vor allem in Brasilien, Argentinien und den USA) werden mittlerweile mit Glyphosat-resistenten, gentechnisch veränderten Soja-, Mais- und Weizenpflanzen bebaut, die eine ganzjährige Ausbringung des Totalherbizids erlauben. Die Ertragssteigerung pro Hektar ist immens, so rechnen z. B. allein die Rapsbauern der EU bei dem drohenden Glyphosat-Verbot mit mehreren Millionen Tonnen Ertragsausfällen.

Soweit hat es die Chemie- und Gentechnikindustrie – allen voran Weltmarktführer Monsanto – mit der Entwicklung von Stoffen und Verfahren zur Ertragssteigerung, zur Beschleunigung von Reifeprozessen und zur Schädlingsbekämpfung also gebracht, dass sie sich mit ihren Produkten zu einer unverzichtbaren Produktionsbedingung für die Landwirtschaft weltweit aufgeschwungen hat, die das Produktionsniveau diktiert und damit über die Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt entscheidet. So ist aus Sicht der Bauern die Wirksamkeit dieser Produktionsmittel zur Arbeitsersparnis und Ertragssteigerung umgeschlagen in den Zwang zu ihrem flächendeckenden Einsatz, der ihnen in Form des durchgesetzten Produktivitätsniveaus ihrer Konkurrenten auf dem Weltmarkt entgegenschlägt.

Zusammen mit dem globalen Erfolg von Roundup und Co. wachsen in den Hochburgen des Herbizid-Einsatzes auch die Krebsgeschwüre der Bevölkerung und bringen Glyphosat bei Umweltaktivisten und Medizinern zunehmend in Verruf. Wie bei jedem Skandal in der Landwirtschaft zeigt sich, wie das Geschäft von Agrarwirtschaft und Lebensmittelindustrie, dem der Staat die Volksernährung überantwortet, ihm den konkurrierenden Standpunkt der Volksgesundheit aufnötigt und ihn zu allerlei Abwägungen zwischen Geschäfts- und Gesundheitsschädigung zwingt, weil die ökonomische Rechnungsweise die Aushaltbarkeit der landwirtschaftlichen Produktion und den gesundheitlichen Nährwert der produzierten Lebensmittel offensichtlich laufend in Frage stellt, selber aber selbstverständlich nicht in Frage gestellt werden soll.

Also stehen lauter Risikobewertungen und Debatten an um die Dosis, die vom Standpunkt der Volksgesundheit Land und Leuten zugemutet werden kann; und in denen ist bezeichnenderweise das gewichtigste Argument für die Weiterverwendung von Glyphosat sein guter Bekanntheitsgrad in der medizinischen Forschung angesichts der bereits praktizierten Langzeitstudien. Wird es verboten – so die kapitalismusimmanente Logik – „werden die Landwirte vermehrt mit anderen Gemischen von Pflanzenschutzmitteln arbeiten, deren Gefährlichkeit für Mensch und Umwelt viel schwerer abzuschätzen ist als bei Glyphosat“ (SZ, 18.5.). Ein Verbot beseitigt schließlich nicht den ökonomischen Grund, aus dem giftiges Zeug massenweise zum Einsatz kommt. So steht unabhängig vom Ausgang der wissenschaftlichen Risikobewertung und des Streits um das EU-Verbotsverfahren für die Zukunft der Landwirtschaft zumindest eines fest: Den staatlichen Verwaltern wird der Kontrollbedarf nicht ausgehen.

Milchkrise

Unbefangen betrachtet ist das eine merkwürdige Krise der Landwirtschaft, die nach einhelliger Auskunft eine ganze Abteilung des Bauernstandes in Gefahr bringt, weil sie zu viel Milch produzieren. Eigentlich haben die Bauern alles gemacht, was in ihrer ökonomischen Macht steht und was ihnen staatlicherseits in den vergangenen Jahren im Zuge der EU-Agrarreformen abverlangt wurde: Sie haben ihre Betriebe erweitert und modernisiert und holen über Futter, Hormonbehandlung und verbesserte Melkanlagen mittlerweile fast doppelt so viel Milch aus den Eutern jeder ihrer Kühe wie noch vor 25 Jahren. Nun bekommen sie von ‚dem Markt‘ die Rechnung ihrer Produktivitätssteigerung serviert – nämlich, dass mit so viel Ware kein Geschäft zu machen ist.

‚Der Markt‘ tritt den Bauern in Form von Großmolkereien gegenüber, die die Abnahme der Milch bei sich monopolisieren und das bäuerliche Produkt mit einer ganzen Abteilung an Lebensmittelchemikern und Fooddesignern in eine bunte Warenpalette verwandeln. Mit ihrer Monopolstellung besitzen die Molkereien die Macht, den Bauern die Produktionsbedingungen, die zu produzierenden Mengen sowie die Verkaufspreise zu diktieren. Die Lebensmittelkonzerne bzw. die Handelsketten, die wiederum als Aggregat aller Abnehmer auftreten, konkurrieren nicht bloß in der unmittelbaren Einzugssphäre der Bauern um die zwar verlässliche, aber stets beschränkte Zahlungsfähigkeit der dortigen Kundschaft, sondern bringen das landwirtschaftliche Produkt auch über die EU-Grenzen hinaus auf den Weltmarkt. Das bodenständige Gewerbe produziert also dank seiner Großabnehmer längst massenhaft für den Weltmarkt; über deren Konkurrenz auf dem Welt-Agrarmarkt wird auch noch der hinterletzte Allgäuer Milchbauer einem weltweiten Produktivitätsvergleich ausgesetzt, in dem er mit seiner Milchproduktion bestehen muss. So verderben Absatzeinbrüche aufgrund des Russland-Embargos, die ‚Konjunkturflaute‘ in China und die verschärfte Konkurrenz aus Übersee den Preis, den er mit seiner Milch erzielen kann.

Die Politik verfolgt ihrerseits das praktische Interesse, dass sich die nationale Milchwirtschaft dieser Konkurrenz stellt und sich in ihr behauptet. Als staatlicher Betreuer des Agrarsektors gewährt der Landwirtschaftsminister auf dem ‚Milchgipfel‘ zwar Nothilfen und Kompensationszahlungen zur ‚Rettung‘ seines nationalen Bauernstands, koppelt die aber an eine Reduzierung der Milchmenge. Und frühere Brüsseler Vorkehrungen gegen Preisverfall – ganz nebenbei eine notwendige und erwünschte Wirkung der geförderten Produktivitätssteigerung im Rahmen der EU-Agrarpolitik – wie z. B. Interventionspreise und Milchquote bleiben jetzt tabu. Die Preise werden weiterhin der ‚Marktlage‘ überlassen: Die Branche muss sich – bei allem Bedauern über die Einzelschicksale – ‚gesund‘schrumpfen, denn die Betriebe sollen mit neuer Größe globale Wettbewerbsfähigkeit in der Landwirtschaft von morgen zurückerobern. Der Rest ist es ökonomisch nicht wert, erhalten zu werden. Ein Restbestand des (Ex-)Bauernstandes kriegt in Zukunft staatlicherseits eine neue Aufgabe und Existenzsicherung: Er darf seinen wertvollen Beitrag zum Erhalt der deutschen Kulturlandschaft leisten und wird mit Programmen zur Landschaftspflege und Tourismusentwicklung sozialpolitisch abgefertigt.

Eintagsküken

Anlässlich eines Gerichtsurteils zu einem seit Jahren tobenden Rechtsstreit zwischen Tierschutzorganisationen, wechselnden Landwirtschaftsministern verschiedener Bundesländer und den führenden deutschen Brütereien wird das nationale Publikum mit der gängigen Praxis in der Geflügelwirtschaft bekanntgemacht, männliche Küken der ‚Legelinien‘ (sog. Eintagsküken) kurz nach dem Schlüpfen auszusortieren und zu vergasen oder zu zerschreddern, da sie weder Eier legen, noch so viel Fleisch ansetzen wie ihre Artgenossen der ‚Mastlinien‘, dass ihre Aufzucht für die Fleischproduktion rentabel wäre. „In Deutschland betraf das im Jahr 2012 etwa 45 Millionen männlicher Küken.“ (Presseerklärung Oberverwaltungsgericht NRW, 20.5.)

Das Massentöten liefert zunächst einen Beleg über den erreichten Stand der Massenproduktion in der Hühnerwirtschaft und dafür, wie weit bereits die Landwirtschaft der Gegenwart von der Bauernhofidylle entfernt ist, in der die Hühner glücklich im Hof scharren, ‚jeden Tag ein Ei legen‘ und irgendwann im Kochtopf landen: Da züchten eine Handvoll europäischer Großkonzerne optimierte Lege- und Masthybride und brüten Millionen von Hennen aus, von denen dann ein Großteil aller Eier weltweit gelegt wird. Das ‚Wettrüsten‘ in den monopolisierten Großmästereien und -schlachthöfen hat ganz nebenbei dazu geführt, dass unter anderem die afrikanischen Märkte mit den europäischen Hühnerfleischabfällen erobert und damit die dortigen Kleinbauern ruiniert wurden. Angesichts solcher Produktionsverhältnisse und ihrem erreichten Stand der Produktivität stehe, so das Gericht,

„die Aufzucht der männlichen Küken der Legelinien im Widerspruch zum erreichten Stand der Hühnerzucht und den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Die Tötung der Küken sei daher Teil der Verfahren zur Versorgung der Bevölkerung mit Eiern und Fleisch. Die wirtschaftliche Gestaltung dieser Verfahren sei für die Brütereien als Erzeuger der Küken unvermeidbar.“ (Ebd.)

Das Schreddern der Küken geht also in Ordnung, weil das – so die schöne Begründung – einfach der erreichte Stand des züchterischen Fortschritts und der Versorgung ist; und dass beide dem kapitalistischen Geschäft dienen und dementsprechend organisiert sind – das sind eben die gültigen ‚Bedingungen‘, unter denen gezüchtet und versorgt wird. Also ist das Geschäftemachen für die, die es machen, ‚unvermeidlich‘. Eine schöne, juristische Auskunft darüber, wie Volksernährung und Geschäft hierzulande und global zusammengehören.

Das Urteil beendet (vorläufig) den Streit, ob das Profitinteresse der Brütereien als hinreichend „vernünftiger Grund“ im Sinne des Tierschutzrechtes zur Tötung eines Wirbeltiers zu werten ist. Hoffnung für die Freunde flauschiger Hühnerbabys verspricht allerdings eine neue Technik zur Geschlechterfrüherkennung im Hühnerei, die den männlichen Küken ihr kurzes Dasein in den Brütereien von vorneherein erspart. Sie haben womöglich Glück: Der Einsatz dieses technischen Fortschritts passt nämlich als Rationalisierungsmaßnahme wohl auch in die „wirtschaftlichen Rahmenbedingungen“ – zumindest haben sich die Brütereien des Weltmarktführers in Sachen Chlor- und sonstiger Hühnchen gerade zur Einführung dieser Technik bis 2020 selbst verpflichtet – unter Vorbehalt der marktwirtschaftlichen Praxistauglichkeit der Methode, versteht sich.

„Mit ihrem Einlenken setzt die UEP [United Egg Producers] auch viele Produzenten in der EU unter Druck, die sich seit Jahren gegen ein Verbot des Küken-Schredderns wehren.“ (SZ, 13.6.)

Auf den Erfindergeist zur Kostpreissenkung als Mittel in der Konkurrenz ist halt Verlass!

Die kapitalistischen Zukunftsaussichten

So liefert jeder Bericht aus der Landwirtschaft von heute auch eine Auskunft darüber, wie die Weltmarktführer für die Zukunft planen und die politischen Betreuer des Standortes ihren nationalen Agrarsektor für die Zukunft herrichten und betreuen wollen, damit er sich auf dem Weltmarkt bewährt und neue Märkte erschließt.

Angesichts dessen erscheint die Vorstellung, die Zukunft der Landwirtschaft wäre eine offene Frage, über die das ideelle Kollektiv verantwortungsbewusster Bürger im gemeinschaftlichen Dialog zu entscheiden hätte, doch reichlich absurd. Um eine Antwort ist der öffentliche Diskurs trotzdem nicht verlegen: Wo die Rücksichtslosigkeit der Massenproduktion gegen Tier, Umwelt und Verbrauchergesundheit in der konventionellen Landwirtschaft angeprangert wird, folgt der Ruf „Zurück zur Natur!“ mit der Forderung einer Wende zur ökologischen Landwirtschaft auf dem Fuße. Der grünen Biobranche spricht der ökonomische Sachverstand dieser Nation – trotz ihres beeindruckenden ‚Wachstumspotentials‘ – allerdings bei jeder Gelegenheit die Massentauglichkeit ab: Zu viele Ökomilchbauern verderben nur den Preis der Biomilch, und Initiativen wie ‚ei care‘ und Dual-Use-Hühnerrassen bleiben Nischenexistenzen für den gehobenen, ökologisch-bewussten Geschmack. Und das ist eines jedenfalls nicht: Eine zeitlich begrenzte Etappe auf dem Weg zur Ablösung der konventionellen Landwirtschaft durch ihre ökologische Alternative. Diese Alternative ist eine Frage des Einkommens, das sich diesen Geschmack leisten kann. Und die wenig appetitlichen Produktionsbedingungen in der Billigmassenproduktion, die aus der Armut der Massen ein ertragreiches Geschäft zu machen weiß, bilden gerade die fortwährende Geschäftsgrundlage für den Absatz hochpreisiger Bio-Premium-Lebensmittel an jene Kunden, die sich das Versprechen auf bekömmlichere Lebensmittel auch etwas kosten lassen.

Im Übrigen: Auch die Produktion von Bio-Lebensmitteln ist ein kapitalistisches Geschäft. Da die entscheidenden ökonomischen Prinzipien der Nahrungsmittelproduktion und der Drang zur Kostpreissenkung für diesen Geschäftszweig gleichermaßen gelten, bleiben auch dort die unappetitlichen bis gesundheitsschädlichen Konsequenzen der kapitalistischen Landwirtschaft nicht aus, wovon neben gelegentlichen Bio-Lebensmittelskandalen in erster Linie der Bedarf nach einem gewaltigen Kontroll- und Zertifizierungswesen zeugt. Das entlarvt dann ganz nebenbei auch die Mär von der Verantwortung des Verbrauchers, der mit seinem Griff ins Kühlregal angeblich gleich die Produktionsbedingungen auf dem Agrarmarkt mit in Auftrag gibt: Der Verbraucher ist und bleibt mit seinem mehr oder weniger beschränkten Geldbeutel der abhängige Erfüllungsgehilfe für die Gewinninteressen der konkurrierenden Sparten der Landwirtschaft.

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