Wanderarbeiter

Neues aus der deutschen Willkommenskultur:

Die Wanderarbeiter aus Osteuropa
– der willkommene Bodensatz des deutschen Proletariats

Seit einigen Jahren ist ein dunkler Fleck in der blühenden Landschaft der Schwarzen Null und der Export-Weltrekorde zu einem festen Bestandteil der kritischen Berichterstattung geworden: die Arbeits- und Lebensumstände osteuropäischer „Wanderarbeiter“. Von „unseren neuen Hungerlöhnern“ und einem „modernen Sklaventum“ ist da die Rede – also von dem, was kritische Journalisten heute allenfalls als einen Fall von „Ausbeutung“ einzustufen bereit sind: härteste Arbeit zu niedrigem Lohn, der nicht selten ganz ausfällt, 14-Stunden-Tage bei 6- bis 7-Tage-Wochen, Unterbringung in Dreckslöchern zu Wucherpreisen etc. Solche Vorfälle mögen noch so zahlreich, die Aufdeckungen noch so regelmäßig geworden sein – kritische Journalisten lassen es sich einfach nicht nehmen, sie immer wieder mit unterschiedlichen Abwandlungen der rhetorischen Frage zu kommentieren: So was gibt es bei uns? In Deutschland? Das passt einfach nicht!

Manchmal braucht es eben deutliche Worte von oben, um in solchen Fragen für Klarheit zu sorgen. Bei einem Staatsbesuch in Bulgarien hat Außenminister Steinmeier einen kurzen und bündigen Hinweis gegeben, dass und wie das alles sehr wohl zu Deutschland passt. Auf die Frage eines bulgarischen Journalisten, „wie schwerwiegend“ das Problemthema „Einwanderung, einschließlich bulgarischer Bürger“ derzeit aus Sicht der deutschen Regierung sei, sind von ihm folgende beruhigende Worte zu vernehmen:

Wenn Bulgaren nach Deutschland ziehen, um dort zu arbeiten, tun sie das nicht als Migranten aus Drittstaaten, sondern sie nehmen ihr Freizügigkeitsrecht als Unionsbürger in Anspruch. Dieses Recht ist eine der wichtigsten Errungenschaften des europäischen Einigungsprozesses, gerade Deutschland profitiert davon sehr.“ (Steinmeier in Bulgarien, 6.3.15)

Von wegen, Bulgaren und ihre osteuropäischen Kollegen seien bloß Fremdlinge ohne einen berechtigten Platz in Deutschland. Als „Unionsbürger“ gehören sie doch längst zu uns! Dass sie ihr großartiges Freizügigkeitsrecht so massenhaft in Anspruch nehmen, ist nur die Kehrseite einer etwas länger zurückliegenden, aber nicht minder „wichtigen Errungenschaft“. Mit der Abwicklung des Ostblocks und den Resultaten einer über 25 Jahre niederkonkurrierten Wirtschaft – nicht zuletzt durch überlegene deutsche Kapitale – ist den „wandernden“ Osteuropäern eine etwas andere Sorte Freiheit zuteil geworden; sie sind frei von allen Mitteln und Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt dort zu verdienen, wo sie wohnen. Jetzt können sie ihre Freiheit nutzen, um sich in Deutschland in Anspruch nehmen zu lassen – was nicht nur für die mittellosen Bulgaren, sondern auch für das mit schlagkräftigem Kapital bemittelte Deutschland eine frohe Botschaft ist. Und dank der extensiven Aufdeckungsarbeit seiner kritischen Öffentlichkeit daheim braucht Steinmeier nicht näher darauf einzugehen, wer wie davon profitiert, wenn „Deutschland“ von der Zuwanderung der Osteuropäer profitiert.

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Es ist ja auch kein Geheimnis: Es ist nämlich gerade die besondere Sorte Fremdheit der östlichen EU-Bürger, die sie zu einer schönen Ergänzung am unteren Ende der einheimischen Arbeiterklasse macht. Ihre besondere materielle Notlage, die sie von daheim mitnehmen, zusammen mit ihrem rechtlichen Kombi-Status als im osteuropäischen Ausland ansässige, aber zur Freizügigkeit berechtigte „Unionsbürger“, prädestiniert sie im deutschen Inland insbesondere für die Sorte Benutzung, bei der es beim Arbeiten vornehmlich aufs pure Aushalten ankommt. Erstens hat das deutsche Kapital mit den staatlich anerkannten Rechtsformen namens Werkvertrag, Subunternehmerregelung, Leiharbeit etc. eine Fülle von Mitteln in der Hand, seine Kosten-Ertrags-Rechnung aufzubessern – in der Regel mit einer Bezahlung weit unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns und außerhalb jeder tariflichen Bindung. Zweitens bringt die besondere Notlage dieser Arbeiter wie von selbst den Willen hervor, einfach alles auszuhalten, was das Kapital ihnen an Arbeitszeit, -intensität und Bescheidenheit in puncto Lohn abverlangt. So dass sich die einschlägige staatliche Rechtsordnung eher als Ausgangsbasis denn als geschlossener „Rahmen“ für die profitbringende Ausnutzung dieser „Unionsbürger“ erweist. Schwarzarbeit und Lohnbetrug sind hier keine Seltenheit, was den Staat schon wieder auf den Plan ruft: Nachdem er die besonders kapitalfreundliche Ausnutzung der Wanderarbeiter rechtlich erlaubt, verbietet er Exzesse – was bekanntlich nicht immer mit ihrer Abstellung zusammenfällt. Zwar sind Lohnbetrug, Mietwucher und Schwarzarbeit aus ordnungspolitischen und steuerlichen Gründen Straftatbestände, aber bei deren Verfolgung – falls es überhaupt zu einer Klage kommt – richten sich die Behörden nach einer Rechtslage, die fast regelmäßig Betroffene mit ihren Existenznöten an den Rechtskonstruktionen findiger Sub-, Sub-Sub- und Sub-Sub-Sub-Unternehmer scheitern lässt.

Das deutsche Kapital selber tut einiges dafür, den Zustrom und die Unterbringung dieser riesigen Reservearmee bedarfsgerecht zu organisieren.

Die Stellenanzeigen auf der Internetseite des Unternehmens sind deswegen nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Polnisch und Slowenisch“. Und: „Regelmäßig buchen die hiesigen Unternehmen Busse für den Transfer“.(FAZ 6.2.)

Das mobilgemachte osteuropäische „Humankapital“ wird – just in time – angekarrt, wenn es „Arbeit gibt“; am Ende des Arbeitstages wird es meist direkt am Arbeitsplatz verstaut, damit es am nächsten Tag ohne Zeitverlust weitermachen kann. Und da diese Arbeiter weder Zeit noch sonst die Möglichkeit haben, sich eine Wohnung zu besorgen, aber von Staats wegen einen Wohnsitz vorweisen müssen, kann pro Bett abgerechnet werden. So fällt dann auch für eine andere Abteilung des deutschen Kapitals, die Grundbesitzer, ein Mietzins ab, der sich mit besten Innenstadtlagen messen kann. Wenn der Dienst am deutschen Wachstum erledigt ist, lassen sich diese Arbeiter ohne lästige Formalitäten und Tarifgezerre in die Heimat entsorgen. Bis wieder einmal das Telefon klingelt…

Summa summarum: Der staatlich durchgeregelte Status der Osteuropäer als hiesige Saisonarbeiter mit einem Bein in der fernen Heimat verschafft den deutschen Unternehmen die Freiheit, erstens Leistungsanforderungen zu stellen, die schon über ein halbes Arbeitsleben in der Regel den Ruin bedeuten, und zweitens Löhne zu zahlen, die ein Leben zu hiesigen Preisen schlicht unmöglich machen. So sieht also die Anwendung des allgemeinen Prinzips des kapitalistischen Zugriffs auf Arbeit aus, wenn sie auf eine in die marktwirtschaftliche Freiheit und europäische Einheit beförderte Ost-Bevölkerung angewendet wird. „Möglichst wenig Lohn für möglichst viel Arbeit dann und dort, wo und wie man sie haben will“ – dieser Grundsatz unternehmerischer Verantwortung kann sich bei dieser Spezies in besonders drastischer Weise entfalten. Das mag ein Auswuchs von der Normalität eines deutschen Arbeitsverhältnisses sein, aber eben davon. Die kritische Öffentlichkeit mag in den Betroffenen in erster Linie den noch nicht zum EU-Standard herangereiften Osteuropäer sehen – eine Sonderexistenz im Verhältnis zum einheimischen Lohnabhängigen, zum „Hoch-“ oder wenigstens „Mindestlohn-Leistungsträger“ deutscher Nationalität. Aber das ist noch nicht einmal die halbe Wahrheit. In allererster Linie handelt es sich hier längst um einen fest eingeplanten, unverzichtbaren Teil des deutschen Proletariats – nämlich der im Land verfügbaren Manövriermasse deutscher Kapitalisten.

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Der osteuropäische Bodensatz der deutschen Arbeiterklasse ist, so die FAZ, keineswegs ein Haufen zwielichtiger „Migranten“ aus irgendwelchen „Drittstaaten“. Für das, was das deutsche Kapital in Zusammenarbeit mit der Rechtsetzung des deutschen Staats aus ihnen macht, erhalten sie öffentliches Lob:

Die Männer und Frauen aus Osteuropa sind beliebt bei deutschen Arbeitgebern, denn sie sind freundlich und zäh. Sie stehen viele Stunden am Sortiertisch und jammern nicht. Weihnachten feiern sie später und arbeiten an den Feiertagen durch.“ (FAZ 6.2.)

Vor so viel aus der Ohnmacht geborener Anpassungsbereitschaft kann der Wirtschaftsjournalist nur den Hut ziehen. Willkommen in der deutschen Arbeiterklasse!

 

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