Du bist Deutschland:

Mit Siegertugenden den Standort befördern

Über 20 deutsche Medienunternehmen engagieren sich für den Standort Deutschland“[1], indem sie sich ganz persönlich in Wort und Bild an dich und mich wenden. Auf der Website zur Kampagne erklären sie programmatisch warum: „Die Botschaft: Jeder Einzelne braucht mehr Zuversicht in die eigene Kraft und Leistungsfähigkeit.“ Daran soll es im Lande bei den Leuten vor allem fehlen in „unserer Zeit“, die „nicht nach Zuckerwatte schmeckt“. Wenn die Zeiten bitter sind, und davon gehen die Kampagnenmacher aus, sind Leute mit einer ganz besonderen Einstellung gewünscht. Die sollen nicht fragen, wer ihnen warum in „unserer Zeit“ die Suppe versalzt, sondern den mangelnden Glauben an die eigenen Fähigkeiten und Potenzen als Grund des Übels ausmachen. Umgekehrt gilt: Wo Zuversicht fehlt, muss Zuversicht her – schon gleich, wenn es für Zuversicht nicht den geringsten Grund gibt.

Dabei helfen die Werbeprofis. Ganz ohne staatliche Direktive, aber in Sorge um den Standort Deutschland legen Sie sich als „Mutmacher“ ins Zeug und tun das, was sie beherrschen: Sie werben. In einer ziemlich Flächen deckenden Aktion setzen Sie in Anzeigen und TV-Spots mit einem „Du bist“ ein gigantisches Gleichheitszeichen; zwischen den Lesern und Fernsehzuschauern einerseits und deutschen Geistesgrößen wie Albert Einstein und Johann Wolfgang von Goethe andererseits. Auch in erfolgreichen Unternehmen bzw. Unternehmern wie adidas und Porsche soll das „Du“ sich wiederfinden; und mit demselben „Du bist …“ wird ein Säugling als Max Schmeling und ein Traktorfahrer als Michael Schumacher identifiziert.

Kein Mensch soll glauben, er sei Nobelpreisträger, Dichterfürst, Weltmarktführer oder Sportchampion
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Sportchampion Das macht auch keiner außerhalb der Klapsmühle. Aber dass man zu Rekordleistungen auflaufen kann, dass in jedem die Möglichkeit steckt, erfolgreich zu sein, das zu glauben will die Werbeaktion schon nahe legen. Diese Geistesriesen, Wirtschaftsgrößen und Unterhaltungskünstler sind doch anerkannt und reüssieren; deren Spitzenplatz im gesellschaftlichen Leben beweist tautologisch: Wo Erfolg rauskommt, steckte die Möglichkeit zum Erfolg drin! Der Glaube an die Chancen soll sie wahr gemacht haben – der eingetretene Erfolg belegt das. Also steckte die Möglichkeit drin …. usw.

Den Werbemachern gefällt diese Leistungsideologie so gut, dass sie dafür auch und gerade bei den weniger mit Erfolg Gesegneten Propaganda machen. Weil sie sich einbilden, der Erfolg der deutschen Wirtschaft stehe und falle mit dem Glauben breiter Massen an künftige Erfolge, entdecken sie in der weit verbreiteten Ideologie, der jeweilige Platz auf den verschiedenen Ebenen der Karriereleiter entspreche exakt den persönlichen Fähigkeiten, die Wachstumsbremse. Also sollen alle ungetrübt von ihren schlechten Lebenserfahrungen und entgegen der tautologischen „Erklärung“, sie hätten es nicht weiter gebracht, weil sie zu mehr nicht fähig seien, glauben: In ihnen stecken noch unentdeckte phänomenale Fähigkeiten, die ihnen unerhoffte Aufstiegschancen eröffnen könnten, wenn – sie nur ganz feste daran glaubten. Zu dem Zweck setzen die mentalen Muntermacher als „Loser“ kenntliche Figuren ins Bild und werbetexten: „ Du bist Günter Jauch “. Gerade als Malocher oder Klofrau soll man zu keinem Zeitpunkt die Flinte ins Korn werfen, soll man nie glauben, mehr sei in diesem Leben nicht drin, weil man ja nie wissen kann, was noch alles in einem schlummert!

Gegen den Einwand, die Mehrheit scheitere doch im täglichen Kampf um Spitzenjobs, Geld und Ruhm, immunisieren sich die Propagandisten. Die „Mutmacher“ gehen gerade von den ausbleibenden Erfolgen aus, um bei den „Losern“ den Willen zum Weitermachen zu schüren. Die sollen aus den „Niederlagen, die das Leben ihnen beigebracht hat“, eben nicht den Schluss ziehen , „ mehr war nicht drin“. Ausgerechnet als unbedeutendes mittelund machtloses Würmchen soll man sich einbilden, der bloße positive Wille zum Erfolg könne die Welt aus den Angeln heben: „Ein Schmetterling kann einen Taifun auslösen. Der Windstoß, der durch seinen Flügelschlag verdrängt wird, entwurzelt vielleicht ein paar Kilometer weiter Bäume. Genauso, wie ein Lufthauch sich zu einem Sturm entwickelt, kann deine Tat wirken.“

Die Kampagne bescheinigt den Leuten, dass sie eine kleine Nummer und unbedeutsam sind, und sie nährt gleichzeitig den Irrglauben, ganz exklusiv und unersetzlich zu sein: „Egal, wo du arbeitest. Egal, welche Position du hast. Du hältst den Laden zusammen. Du bist der Laden. Du bist Deutschland.“ Mensch „wie du und ich“ bekommt attestiert, dass er ein Rädchen ist, er soll sich aber nicht fragen, mit welcher Funktion und in welchem Getriebe, sondern sich verhalten, als sei er wahnsinnig wichtig. Gerade wenn die eigene Lage aussichtslos ist, soll man sich ideell in den Erfolg Deutschlands einklinken: „Mag sein, du stehst mit dem Rücken zur Wand oder dem Gesicht zur Mauer. Doch einmal haben wir schon gemeinsam eine Mauer niedergerissen.“ Obwohl man nach wie vor an die Wand gedrückt wird – da wird ja gar nicht Abhilfe versprochen – soll man klotzen für die Nation: „Machen wir uns die Hände schmutzig. Du bist die Hand. Du bist 82 Millionen. Du bist Deutschland.“

Die Nation ist schließlich das wirklich hilfsbedürftige Subjekt! Zwar weit und breit kein „Zuckerwatte-Lecken“, und so mancher steht mit dem Rücken zur Wand – aber das ist doch kein Grund zu meckern! Geschweige denn, danach zu fragen, wer und was einem andauernd Anlässe und Gründe für die Meckerei serviert. Freundschaftliche Verbundenheit und berechnungsloser Dienst sind angesagt: „Behandle dein Land doch einfach wie einen guten Freund. Meckere nicht über ihn, sondern biete ihm deine Hilfe an.“ Unterscheide nicht mehr zwischen „es“ und „ihm“ und leiste was für Deutschland.

Spätestens jetzt darf man sich die Vorstellung abschminken, dass der Einsatz einen Ertrag einfährt, mit dem man es sich gemütlich machen könnte. Die Leistung zu der man „ermutigt“ wird, hat endgültig kein Maß mehr im persönlichen Wohlergehen: „ Bring die beste Leistung, lichen zu der du fähig bist. Und wenn du damit fertig bist, übertriff dich selbst.“ Die Einladung „etwas Neues zu wagen und mit frischem Elan mitund weiterzumachen“ ist ein Dauerauftrag
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Dauerauftrag den jeder sich täglich neu erteilen soll. Der Erfolg für Deutschland, so die Botschaft, ist Grund genug, sich täglich selbst neu zu übertreffen! Was man davon hat, verraten die Deutschland- Werber mit unfreiwilliger Komik auch: „Schlag mit deinen Flügeln und reiß Bäume aus. Du bist die Flügel, du bist der Baum.“ Wer von dieser Kampagne beflügelt an eine bessere Zukunft glauben und darin den Sinn der Plackerei in der Gegenwart finden sollte, hat nicht alle Tassen im Schrank. Denn zum Erfolg gehört im Kapitalismus schon ein bisschen mehr als der Wille dazu und Zuversicht, es schon noch zu schaffen. Das wissen nicht zuletzt die „Initialpartner“ [2] der Kampagne. Sie sind nämlich geworden, was sie sind, weil es hierzulande eine Mehrheit gibt, die keine Chance hat, auch das zu werden, was die Initiatoren sind. Denn die haben zu ihrem Erfolg jede Menge schlecht bezahlte Erfolglose gebraucht. Daran soll sich nicht nur nichts ändern, vielmehr sind – wie man von den eloquenteren Exemplaren der (Erfolg)Reichen landauf, landab in Talkshows hört – ihre künftigen Wachstumserfolge nur drin, wenn diese Mehrheit, das tut, woran in der Eigentumsgesellschaft echte Eigentümer nicht einmal im Traum denken: „Besitzstände“ aufgeben. Und das mit der unerschütterlichen Bereitschaft, weiterhin „die beste Leistung“ noch zu „übertreffen“, weil und sobald das von den Besitzenden angeordnet wird. Denen wie einem guten Freund – beständig das „Beste“ zu geben, hat mit Freundschaft nix, mit Ausbeutung alles zu tun

[1] Kursive Zitate aus: „Die Kampagne“: www.du-bist-deutschland.de/opencms/opencms/Kampagne/Manifest.html und aus TV-Spots:
www.du-bist-deutschland.de/opencms/opencms/Kampagne/TVSpotsAnzeigen.html
[2] www.du-bist-deutschland.de/opencms/opencms/Kampagne/Partner/Initialpartner.html

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